Odyssee im Kostümwald

Odyssee im Kostümwald

Karneval steht vor der Tür — und wieder mal stellen sich viele die Frage, was sie denn bloß anziehen sollen. Besonders Karnevalsneulinge tun sich oft schwer, das für sie richtige Kostüm zu finden.

Zugegeben, die 35 Jahre, die ich vom Zeitpunkt meiner Geburt an im tiefsten Westfalen gelebt habe, sind karnevalsmäßig nicht spurlos an mir vorübergegangen. Soll heißen: Kostüme und Kamelle haben bislang in meiner Welt keine große Rolle gespielt.

 Einmal Captain Jack Sparrow sein — da dürfte auch der ein oder andere Karnevalsmuffel schwach werden. Fotos: Andreas Baum
Einmal Captain Jack Sparrow sein — da dürfte auch der ein oder andere Karnevalsmuffel schwach werden. Fotos: Andreas Baum

Das letzte Mal verkleidet war ich vor sage und schreibe 25 Jahren — beim Kinderkarneval in der Grundschule. Jetzt aber, wo mich der Beruf nach Mönchengladbach in die Redaktion des Extra-Tipp verschlagen hat, werden die Karten neu gemischt.

Dass das bunte Treiben hier am Niederrhein einen ganz anderen Stellenwert genießt, wusste ich ja, als ich mich entschied, hierher überzusiedeln. Und sich dem hiesigen Brauchtum zu entziehen, verbietet allein schon der journalistische Ehrenkodex. Darum geht's also auch gleich in die Vollen für mich. Die Vollen, das ist in diesem

Fall Deiters an der Hindenburgstraße, der gut sortierte Fachhandel für Kostümierungen aller Art. Meine Mission ist klar: Es gilt, das richtige Karnevals-Outfit für mich zu finden.

Bereits als ich das Geschäft betrete, wird mir schlagartig bewusst, wie sehr der Rheinländer seinen Karneval lieben muss. Bislang war die Assoziation, die das Wort "Kostümhandel" in mir hervorrief, immer die der zwei, drei Regale, die man regelmäßig zur Karnevalszeit in den Kaufhäusern — vielleicht irgendwo zwischen der Schmuck- und der Kosmetikabteilung — vorfindet. Damit hat die Deiters-Filiale, in der ich gerade stehe, allerdings reichlich wenig zu tun, hier erstrecken sich die Kostüme fast schon auf der Fläche eines kleinen Kaufhauses.

Okay, sage ich mir, dann stürzen wir uns doch einfach mal rein ins närrische Vergnügen...

. Begrüßt werde ich direkt am Eingang von Verkäuferin Lisa Krings in deren Betreuung ich mich sogleich vertrauensvoll begebe. Was denn die aktuellen Trends in Sachen Kostüme sind, möchte ich von ihr wissen. Vor allem das aus der Sesamstraße bekannte Krümmelmonster sei bei der weiblichen Kundschaft sehr beliebt, erfahre ich. Außerdem kämen Piraten natürlich nie aus der Mode. "Was ebenfalls aktuell voll im Trend liegt, sind Sachen, die in Richtung Steampunk gehen", erklärt Krings. So abgedreht wie bei dieser Mischung aus Stilelementen des viktorianischen Zeitalters und modernen futuristischen Funktionen wird es bei mir aber erstmal nicht: Ich wähle den klassischen Einstieg und werfe mich in die Robe eines Sultans, das Lied von der weiterziehenden Karawane dabei ein unerbittlichen Begleiter in meinem geistigen Gehörgang. Wie ich da so in der Kabine stehe und das lilafarbene Gewand des orientalischen Herrschers über streife, kommen Erinnerungen in mir hoch...Erinnerungen an damals, als ich mich für den Karneval der vierten Klasse in Cape und schwarze Strumpfhosen zwängte, um zumindest einmal in meinem Leben für ein paar Stunden Batman zu sein. Dabei kommt auch etwas Neid in mir hoch beim Gedanken an die Schaumstoff-Sixpacks, mit denen sich die heutige Generation von Fledermaus-Detektiven schmücken darf. Damals war eben doch nicht alles besser...
Nach dem Sultan folgen weitere Kostüme: Dem Wunsch nach etwas Lokalkolorit komme ich gerne nach, indem ich mich kurzerhand in einen "Leckeren Jecke" verwandle, stilecht mit Zylinder und buntem Jäckchen. Weiter geht's, als nächstes steht der Ausflug ins Piratengenre an: Mit Perücke, Hut und Pistolen wird Captain Jack Sparrow mal eben zum Leben erweckt — dass der Original-Captain Johnny Depp das nicht mitbekommt, ist mir dabei natürlich nur recht. Ein wenig fehlt schließlich doch noch zur Darbietung des US-Schauspielers. Das dicke Ende kommt zum Schluss, und das buchstäblich: Mit falschem Schwangerschaftsbauch und blondem Fiffi werde ich zu US-Präsident Donald Trump. Es mag Zufall sein oder nicht, dass ich hier zum ersten Mal beim Verlassen der Kabine so etwas wie Scham empfinde, und auch bei der Nachstellung des berühmten Fotos von Trump mit erhobenem Finger und verkniffenen Blick fühle ich mich reichlich albern — ein guter Moment, den Selbstversuch hier abzubrechen. Der klassische Piraten-Look hatte mich ohnehin am meisten überzeugt.
Ob sich am Kostümierungsverhalten der Menschen im Vergleich zu früher etwas geändert hat, frage ich Lisa Krings noch. "Vor allem wird heute wieder mehr kombiniert", antwortet die Verkäuferin. Häufig würden Kunden etwa ihr Einhornkostüm noch um weitere Accessoires wie Tüllröcke oder bunte Westen ergänzen. Schon spiele auch ich mit dem Gedanken, noch einmal nachzurüsten. Die Vorstellung von Captain Jack Sparrow im Tüllrock sorgt dann aber dafür, dass ich es für heute doch erst einmal mit dem Erreichten belasse.

(Report Anzeigenblatt)